Dienstag, 10. Juli 2007

Brehms Tierleben: Luchs

Luchs

Unter den übrigen Mitgliedern der Sippe, welche sich durch starken Bart und kurzen, stummelhaften Schwanz auszeichnen, steht der Luchs oder Thierwolf (Lynx vulgaris) (Heute: Lynx lynx) an Schönheit, Stärke und Kraft oben an. Erst durch das Museum von Christiania bin ich über die Größe belehrt worden, welche ein Luchs wirklich erreichen kann; denn in unseren deutschen Sammlungen findet man gewöhnlich nur mittelgroße Thiere. Ein vollkommen ausgewachsener Luchs ist mindestens ebenso stark, nur etwas kürzer und hochbeiniger als die Leoparden, welche wir in unseren Thierschaubuden zu sehen bekommen. Die Länge seines Leibes beträgt reichlich 1 Meter und kann wohl auch bis zu 1,3 Meter steigen, der Schwanz ist 15 bis 20 Centim. lang, die Höhe am Widerriste beträgt bis 75 Centim. An Gewicht kann der Luchskater bis 30, ja, wie man mir in Norwegen sagte, sogar bis 45 Kilogr. erreichen. Das Thier hat einen außerordentlich kräftigen, gedrungenen Leibesbau, stämmige Glieder und mächtige, an die des Tiger oder Leoparden erinnernde Pranken, verräth daher auf den ersten Blick seine große Kraft und Stärke. Die Ohren sind ziemlich lang und zugespitzt und enden in einen pinselförmigen Büschel von vier Centimeter langen, schwarzen, dichtgestellten und aufgerichteten Haaren. Der Schwanz, welcher überall gleichmäßig und gleich dicht behaart ist, hat eine breite, schwarze Spitze, welche fast die Hälfte der ganzen Länge einnimmt; die andere Hälfte ist undeutlich geringelt, mit verwischten Binden, welche unten aber nicht durchgehen. Im Sommer ist der Balg kurzhaarig und mehr röthlich, im Winter langhaarig und mehr grauweißlich gefärbt; allein die ganze Färbung verändert sich in der mannigfaltigsten Weise, und auch die Flecken wechseln bei verschiedenen Thieren erheblich ab.

Noch im Mittelalter bewohnte er ständig alle größeren Waldungen Deutschlands und ward allgemein gehaßt, auch nachdrücklichst verfolgt. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts galt er, laut Schmitt, in Pommern als das schlimmste Raubthier. "Den Luchs", so heißt es in Petersdorps Verordnung, "wiel he de aergste ist, moth man flitig by Wintertieden nahstellen, ein mit Ketten fangen, scheten." Von dieser Zeit an hat er in Deutschland stetig abgenommen und kann gegenwärtig hier als ausgerottet gelten. In Bayern, dem an sein Wohngebiet, die Alpen, angrenzenden Lande Süddeutschlands, war er noch zu Ende des vorigen und zu Anfang unseres Jahrhunderts eine zünftigen Jägern wohlbekannte Erscheinung. Laut Kobell, dem wir so viele anziehende Jagdbilder verdanken, wurden in den Jahren 1820 bis 1821 allein im Ettaler Gebirge siebenzehn Luchse erlegt und gefangen; im Jahre 1826 fing man im Riß ihrer fünf, bis 1831 noch ihrer sechs. In Westfalen endete der letzte Luchs erweislich im Jahre 1745 sein Leben; auf dem Harze erlegte man die letzten beiden in den Jahren 1817 und 1818, in Deutschland, mit Ausnahme der an Rußland grenzenden Theile überhaupt, im Jahre 1846. Anders verhält es sich in den deutsch-österreichischen Ländern und in den an Rußland grenzenden Theilen Preußens. Hier wird fast alljährlich noch ein oder der andere Luchs gespürt; dort hat man noch in der Neuzeit so viele erlegt, daß von einer Ausrottung desselben noch nicht gesprochen werden darf.

Bedingung für ständigen Aufenthalt dieses Raubthieres sind weite geschlossene, an Dickungen oder überhaupt schwer zugänglichen Theilen reiche, mit Wild der verschiedensten Art bevölkerte Waldungen. In dünn bestandenen Wäldern zeigt sich der Luchs, laut Nolcken, dem wir die beste Lebensschilderung des Thieres verdanken, nur ausnahmsweise, namentlich im Winter, wenn es sich für ihn darum handelt, einen solchen Wald nach Hasen abzusuchen, oder aber, wenn ihn ein allgemeiner Nothstand, ein Waldbrand z. B., zum Auswandern zwingt. Unter solchen Umständen kann es vorkommen, daß er, wie es im Jahre 1868 im Petersburger Gouvernement geschah, bis in die Obstgärten der Dörfer sich flüchtet. Im Gegensatze zum Wolfe, welcher fast jahraus, jahrein ein unstätes Leben führt, hält sich der Luchs oft längere Zeit in einem und demselben Gebiete auf, durchstreift dasselbe aber nach allen Richtungen, wandert in einer Nacht meilenweit, nicht selten ohne alle Scheu befahrene Wege annehmend, bis in die Nähe der Dörfer sich wagend und selbst einsam liegende Gehöfte besuchend, kehrt auch nach mehreren Tagen wieder in eine und dieselbe Gegend zurück, um sie von neuem abzuspüren.

An Begabung leiblicher und geistiger Art scheint der Luchs hinter keiner einzigen anderen Katze zurückzustehen. Der trotz der hohen Läufe ungemein kräftige Leib und die ausgezeichneten Sinne kennzeichnen ihn als einen in jeder Hinsicht trefflich ausgerüsteten Räuber. Er geht sehr ausdauernd, so lange es die Noth nicht fordert, nur im Schritt oder im Katzentrabe, niemals satzweise, springt, wenn es sein muß, ganz ausgezeichnet in wahrhaft erstaunlichen Sätzen dahin, klettert ziemlich gut und scheint auch mit Leichtigkeit Gewässer durchschwimmen zu können. Unter seinen Sinnen steht unzweifelhaft das Gehör obenan, und der Pinsel an seinen Ohren darf demnach als eine wohlberechtigte Zierde gelten. Kaum weniger vorzüglich mag das Gesicht sein, wenn auch die neuzeitlichen Beobachter keine unmittelbaren Belege für die Entstehung der alten Sage gegeben haben. Der Geruchsinn aber ist, wie bei allen Katzen, entschieden schwach; der Luchs vermag wenigstens nicht auf größere Entfernungen hin zu wittern und sicherlich nicht durch seinen Geruch irgend ein Wild auszukundschaften. Daß er Geschmack besitzt, beweist er durch seine Leckerhaftigkeit zur Genüge, und was Tastsinn und Empfindungsvermögen anlangt, so bekunden Gefangene deutlich genug, daß sie hierin den Verwandten nicht nachstehen. Die geistigen Eigenschaften unseres Raubthieres sind niemals unterschätzt worden: "Ist sunst ein röubig thier gleich dem Wolff, doch vil listiger", sagt der alte Geßner und scheint vollständig Recht zu haben, da auch alle neueren Beobachter, welche mit dem Luchse verkehrten, ihn als ein außerordentlich vorsichtiges, überlegendes und listiges Thier schildern, welches niemals seine Geistesgegenwart verliert und in jeder Lage noch bestmöglichst seinen Vortheil wahrzunehmen sucht und wahrzunehmen weiß.

Frühere Beobachter vergleichen die Stimme des Luchses mit dem Geheule eines Hundes, bezeichnen sie damit aber sehr unrichtig. Ich habe nur Gefangene schreien hören und muß sagen, daß die Stimme sehr schwer beschrieben werden kann. Sie ist laut, kreischend, hochtönig, der verliebter Katzen entfernt ähnlich.

Der Luchs ist, laut Nolcken, ein durchaus nächtliches Raubthier, versteckt sich mit Tagesanbruch und liegt, wenn er nicht gestört wird, bis zur Dunkelheit, wodurch er vom Wolfe, welcher meist schon gegen Mittag wieder zu wandern beginnt, wesentlich sich unterscheidet. Zu seinem Lagerplatze wählt er eine Felsenkluft oder ein Dickicht, unter Umständen vielleicht auch eine größere Höhlung, selbst einen Fuchs- oder Dachsbau. Am tiefsten scheint er in den Früh- und Mittagsstunden zu schlafen; nachmittags reckt er sich gern, wenn ihm dies möglich ist, im Strahle der Sonne, legt sich dabei auch, falls er es haben kann, stundenlang auf den Rücken wie ein fauler Hund. Bei eintretender Dämmerung wird er munter und lebendig.

Nach den gegebenen Mittheilungen kann man sich von der Jagd des Luchses ein ziemlich richtiges Bild machen. Möglichst gut sich deckend, jeden hierzu dienenden Gegenstand benutzend und alles Geräusch vermeidend, schleicht er, unter Umständen tief gebückt, an sein Wild heran, springt mit einem oder mit mehreren gewaltigen Sätzen auf dasselbe zu, faßt glücklichenfalls die Beute, sich einbeißend, im Genicke, schlägt seine Krallen tief ein, hält sich so fest und beißt nun mit seinen scharfen Zähnen die Schlagadern des Halses durch. Bis das Thier verendet, bleibt er auf ihm sitzen; ja man kennt ein Beispiel, daß ein solcher furchtbarer Reiter wider seinen Willen mit seinem Reitthiere und Schlachtopfer weiter getragen worden ist, als ihm lieb war. Eine norwegische Zeitung berichtete, daß eines Tages eine Herde Ziegen mitten am Tage aus dem benachbarten Walde in höchster Eile nach dem Gute zugelaufen kamen. Ein Thier der Herde trug auf seinem Rücken einen jungen Luchs, welcher seine Klauen so tief und fest in den Hals der Ziege eingeschlagen hatte, daß er nicht wieder loskommen konnte. Die Ziege rannte in der Angst hin und her, bis es den inzwischen hinzugekommenen Söhnen des Gutsbesitzers gelang, das Raubthier zu erschießen, ohne die Ziege zu verletzen.

Als Beutestück scheint dem Luchse jedes Thier zu gelten, welches er irgendwie bewältigen zu können glaubt. Vom kleinsten Säugethiere oder Vogel an bis zum Reh und Elch oder Auerhahn und Trappen hinauf ist schwerlich ein lebendes Wesen vor ihm gesichert.

In dem an Hochwild armen, an Niederwild reichen Norden verursacht der Luchs verhältnismäßig wenig Schaden; in gemäßigten Landstrichen dagegen macht er sich dem Jäger wie dem Hirten gleich verhaßt, weil er nicht allein weit mehr erwürgt, als er zur Nahrung braucht, sondern auch von einer Beute nur das Blut aufleckt und die leckersten Bissen frißt, das übrige aber liegen läßt, Wölfen oder Füchsen zur Beute. Der beste Rehstand wird von einem Luchse, welcher dem rächenden Blei des Jägers geraume Zeit sich zu entziehen weiß, vernichtet, die zahlreichste Schaf- oder Ziegenherde mehr als gezehntelt.

Ueber die Fortpflanzung unseres Raubthieres fehlt noch genügende Kunde. Im Januar und Februar sollen die Geschlechter sich zusammenfinden, mehrere Luchskater oft unter lautem Geschrei um die Luchskatze kämpfen und diese zehn Wochen nach der Paarung in einer tief verborgenen Höhle, einem erweiterten Dachs- oder Fuchsbau unter einem überhängenden Felsen, einer passenden Baumwurzel und an ähnlichen versteckten Orten zwei, höchstens drei Junge bringen, welche eine Zeitlang blind liegen, später mit Mäusen und kleinen Vögeln ernährt, sodann von der Alten im Fange unterrichtet und für ihr späteres Räuberleben gebührend vorbereitet werden.

Gefangene Thiere dieser Art zählen unbedingt zu den anziehendsten aller Katzen. Gelangen sie in den Besitz eines Pflegers, ohne in ihrer Jugend eine sorgfältige Erziehung genossen zu haben, so zeigen sie sich zwar nicht immer von ihrer liebenswürdigsten Seite, verfehlen aber nie, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. "Sie erscheinen", so habe ich mich in meinen "Thieren des Waldes" ausgedrückt, "im Vergleiche zu ihren Familiengenossen mürrisch, eigensinnig und faul, liegen, einem in Erz gegossenen Bilde vergleichbar, fast bewegungslos halbe Tage lang auf demselben Aste und beweisen nur durch Zusammenrümpfen der Lippen, durch Bewegen der Lauscher und Lichter und endlich durch Wedeln und Stelzen der Lunte, daß der Geist an der Ruhe des Leibes nicht Theil nimmt, sondern ohne Unterlaß beschäftigt ist."

Nicht allein des großen Schadens halber, welchen der Luchs in wohlgepflegten Wildgehegen oder auf herdenreichen Alpen anrichtet, sondern auch um des Vergnügens willen, welches solches Weidwerk jedem zünftigen Jäger bereitet, wird der Luchs aller Orten, wo er vorkommt, eifrigst gejagt. Man erbeutet das Raubthier auf viererlei Weise: durch gestellte, gut geköderte Eisen, vermittels der Reize, auf Treibjagden und mit Hülfe der Koppelhunde. Mit dem Stellen von Eisen ist es ein misliches Ding; denn der Luchs streift, so sicher er auch einen passenden Wechsel einhält, im ganzen doch zu weit umher, als daß man auf sicheren Erfolg rechnen könnte. Gefangen verfällt er in beispiellose Wuth, ja in förmliche Raserei. "Diejenigen", sagt Kobell, "welche lebende Luchse im Schlageisen getroffen haben, sind oft Zeugen ihrer Wildheit gewesen, besonders wenn das Eisen nur eine Vorderpranke gefaßt hatte. Kam der Jäger dazu, so zog der Luchs, rückwärts kriechend, das Eisen, welches immer mittels einer Kette an einem starken Baume oder einer Latschenwurzel befestigt ist, mit sich, soweit er konnte und richtete, furchtbar grinsend, seine wüthenden Blicke auf den Herannahenden. Glaubte er, den Feind erhaschen zu können, so versuchte er es, wenn er dessen noch fähig, mit einem so gewaltigen Satze, daß es gräulich zu schauen war. Meist hatte er sich die Krallen an einer freien Pranke von der gewaltigen Anstrengung, sich zu befreien, ausgerissen und die Fänge gebrochen."

Der Balg des Luchses gehört zu dem schönsten und theuersten Pelzwerke, obwohl die Haare spröde sind und nach längerem Gebrauche springen. Ein Balg kostet 45 bis 60 Mark, und die schönsten, nämlich die, welche aus Sibirien kommen, werden selbst an Ort und Stelle mit 6 bis 16 Rubeln bezahlt, weil die reichen Jakuten sehr gern damit ihr Kleid verzieren. Dabei sind die Häute der Vorderläufe noch nicht ein mal mitgerechnet; denn diese werden abgenommen und mit 4'/2 bis 3' /2 Rubel das Paar bezahlt. Ein Fell des Luchses wird dort drei Zobel fellen (ohne Schnauze) oder sechs Wolfs-, zwölf Fuchs- und hundert Eichhornfellen im Werthe gleichgestellt.

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