Montag, 3. Dezember 2007

Riesen im Reich der Insekten

GuenterBechly

Dr. Günter Bechly

Auszug aus einem Interview mit dem Biologen und Paläontologen Dr. Günter Bechly, wissenschaftlicher Kurator am Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart und dort Sektionsleiter für die Bereiche Bernstein und fossile Insekten

BechlyHomepage

http://www.bernstein.naturkundemuseum-bw.de/odonata/gbechly.htm

*

Meganeura

Meganeura monyi

Frage: Die libellenähnliche Meganeura monyi aus der Karbonzeit vor etwa 300 Millionen Jahren erreichte eine Flügelspannweite von etwa 70 Zentimeter und gilt angeblich als größtes Fluginsekt der Erde. Gibt es heute ähnlich große Insekten?

Antwort: Meganeura monyi aus der Steinkohlezeit Europas wurde in der Tat sehr groß und erreichte über 60 cm Flügelspannweite. Noch größer wurde jedoch die mit ihr verwandte Riesenlibellenart Meganeuropsis permiana aus dem Unteren Perm von Nordamerika, die mit fast 75 cm Spannweite das größte bekannte Insekt aller Zeiten war.
Die größte Flügelspannweite heutiger Insekten besitzt mit bis zu 32 cm ein Nachtschmetterling, die brasilianische Rieseneule Thysania agrippina. Nur wenig kleiner ist der Atlas-Seidenspinner mit bis zu 30 cm Flügelspannweite und der Vogelfalter Ornitoptera alexandrae aus Papua-Neuguinea, der mit bis zu 28 cm Flügelspannweite der größte Tagschmetterling der Welt ist.
Die allergrößte heutige Insektenart ist mit maximal 36 cm Körperlänge die südostasiatische Gespenstschrecke Pharnacia kirbyi. Den ersten Platz im Wettbewerb um das schwerste lebende Insekt hält jedoch ein „schwangeres“ Weibchen der neuseeländischen Weta-Grille Deinacrida heteracantha, das nachweislich ein Körpergewicht von 71 Gramm erreicht hat, wobei „normale“ Exemplare dieser Spezies nur 19-43 Gramm wiegen. Der südamerikanische Herkuleskäfer Dynastes hercules hat eine Körperlänge von 16 cm und einer Flügelspannweite von 22 cm. Der Amazonas-Riesenbockkäfer Titanus giganteus wird mit maximal 16,7 cm manchmal sogar noch etwas länger (gelegentliche größere Angaben von über 20 cm beziehen die Fühler mit ein, während hier von mir die stets die Kopf-Rumpf-Länge verwendet wird). Das gleiche gilt für die südamerikanische Bockkäferart Macrodontia cervicornis, die über 16 cm lang werden kann und zudem riesige Larven besitzt. Auch die Larven des afrikanischen Goliathkäfers Goliathus goliathus, der als erwachsenes Tier maximal 11 cm lang wird, werden mit bis zu 13-15 cm Länge extrem groß und angeblich bis zu 100 Gramm schwer (sichere Nachweise kenne ich bis 73 Gramm). Gewichtsangaben von 70-100 Gramm, die in manchen polulärwissenschaftlichen Arbeiten für die größten Käferarten angegeben werden, konnten bislang nicht wissenschaftlich bestätigt werden und sind sehr wahrscheinlich falsch. Auch die größten Bockkäfer, Herkuleskäfer und Goliathkäfer erreichen als erwachsene Tiere (Imago) offenbar kaum ein Lebendgewicht über 45 Gramm.
Forscher konnten nachweisen, dass noch größere Insekten heute nicht mehr lebensfähig wären, da deren Maximalgröße offenbar durch die Leistungsfähigkeit des Tracheen-Atmungssystemes bei bestimmten Sauerstoffkonzentrationen begrenzt ist. Es lag daher nahe zu vermuten, dass die riesigen Libellen und anderen Gliedertiergiganten der Steinkohlewälder nur durch einen deutlich höheren Sauerstoffgehalt zur damaligen Zeit entstehen konnten, der auch geologisch nachweisbar ist (Sauerstoffkonzentrationen: Karbon 35 %, Mittel-Perm 25 %, Ober-Perm 12-15 %, Trias 18 %, heute 21 %). Sie verschwanden dann zum Oberperm, als es durch eine globale Klimakatastrophe zu einem extrem geringen Sauerstoffgehalt der Atmosphäre kam, der vor 252 Millionen Jahren zu einem der größten Massenaussterben der Erdgeschichte führte, in dessen Verlauf damals 75 % aller Landtierarten und über 90 % aller Meerestierarten ausstarben. Diese Katastrophe wurde vermutlich verursacht durch den gigantischen Vulkanismus der sibirischen Flutbasalte, welcher über den Treibhauseffekt zu einer nachhaltigen Klimaerwärmung führte, die wiederum die gefrorenen Methanhydrat-Vorkommen am Meeresboden freisetzte, welche durch Oxidation den atmosphärischen Sauerstoff verbrauchten. Unabhängig vom Problem des Sauerstoffgehaltes sind extrem große Fluginsekten aber im weiteren Verlauf der Evolution wohl auch deshalb nie wieder entstanden, weil es seit der Trias fleischfressende, fliegende Wirbeltiere (zuerst Flugsaurier, dann später Vögel und zuletzt die Fledermäuse) gab, die die Nische besetzen und die Lüfte für solche trägen Rieseninsekten viel zu unsicher machten.

RiesenlibelleMeganeuropsis

Riesenlibelle Meganeuropsis

*

Frage: In der Gegend von Solnhofen und Eichstätt schwirrten in der späten Jurazeit vor etwa 150 Millionen Jahren stattliche Libellen mit einer Flügelspannweite bis zu 21 Zentimeter durch die Gegend, in der auch Urvögel, Flugsaurier und Dinosaurier lebten. Kann sich eine jetzige Libelle mit ihnen messen?

Antwort: Nicht ganz, aber es gibt in der Tat auch heute noch recht große Libellen, die zumindest annähernd solche Flügelspannweiten erreichen. Petalura ingentissima aus Australien ist die schwerste lebende Libelle und gehört zur Unterordnung der Großlibellen (= Anisoptera). Sie erreicht jedoch „nur“ eine maximale Flügelspannweite von etwa 16 cm. Kurioserweise gehört die größte heute lebende Libelle zur Unterordnung der Kleinlibellen (Zygoptera). Es handelt sich um Megaloprepus caerulatus (Familie Pseudostigmatidae) aus den Regenwäldern von Mittelamerika und dem nördlichen Südamerika, die eine Flügelspannweite von bis zu 19 cm erreichen soll (ich selbst kenne jedoch nur nachgewiesene Größen bis zu 17,5 cm). Die lebende Libelle mit der größten Körperlänge kommt ebenfalls aus der neotropischen Familie Pseudostigmatidae. Es ist Mecistogaster linearis mit einer Kopf-Rumpf-Länge von bis zu 13,5 cm.

*

Fossilinsects

Frage: Können Sie Lesern/innen dieses Interviews, die gerne mehr über Sie und Ihre interessante Arbeit erfahren wollen, Internetadressen oder Literaturhinweise nennen?

Antwort: Die beiden wichtigsten Adressen im Internet sind in jedem Falle Google und Wikipedia, denn über diese Seiten findet man fast alle Informationen, zumindest wenn man schon ungefähr weiß wonach man sucht. Ein modernes geflügeltes Wort besagt nicht ganz ernst gemeint: „Was Google nicht kennt, das existiert auch nicht“.
Ansonsten empfehle ich den Besuch folgender Webseiten zum Thema dieses Interviews, die allerdings fast alle in englischer Sprache sind:

Website der Internationalen Paläoentomologischen Gesellschaft: http://fossilinsects.net

Webseite der russischen Paläoentomologen: http://palaeoentomolog.ru/english.html

EDNA, eine Datenbank der fossilen Insekten: http://edna.palass-hosting.org/search.php

Paläoentomologischer Newsletter MEGANEURA: http://www.ub.es/dpep/meganeura/meganeura.htm

Mikko’s Phylogeny Archive mit Stammbäumen aller fossilen und rezenten Organismen: http://www.fmnh.helsinki.fi/users/haaramo

Webseite der Universität von Florida zu den größten lebenden Insekten: http://ufbir.ifas.ufl.edu/chap30.htm

Meine eigene Website zur Phylogenetischen Systematik fossiler und rezenter Libellen: http://www.bernstein.naturkundemuseum-bw.de/odonata/index.htm

Meine Checkliste der fossilen Libellenarten aus den Solnhofener Plattenkalken: http://www.bernstein.naturkundemuseum-bw.de/odonata/Solnhofen-Libellen.htm

Meine persönlichen Ansichten zu einem naturalistischen Weltbild:
http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Dr._G%C3%BCnter_Bechly

Und last-but-not-least möchte ich natürlich nicht versäumen auch den Besuch der Webseite des Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart empfehlen: http://www.naturkundemuseum-bw.de/stuttgart


*

Die Fragen für das Interview stellte der Wiesbadener Journalist und Wissenschaftsautor Ernst Probst, Betreiber des Weblogs http://fossilien-news.blog.de

Keine Kommentare: