Freitag, 6. Mai 2011

Europas wildes Herz wächst wieder zusammen













Für den Luchs war der Eiserne Vorhang, der das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas mehr als vier Jahrzehnte trennte, nie eine Grenze. Neu ist allerdings, das sich seit dem Ende der Teilung Europas wieder Menschen beiderseits der deutsch-tschechischen Grenze um die seltenen Tiere kümmern. Foto: ce-press


Der Nationalpark Bayerischer Wald pflegt eine beispielhafte Kooperation mit dem Böhmerwald in Tschechien. Nach über vier Jahrzehnten Trennung wächst „Europas wildes Herz“ wieder zusammen.


Freyung-Grafenau (ce-press - natur-und-umwelt) – Für den Luchs war der Eiserne Vorhang, der das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas mehr als vier Jahrzehnte trennte, nie eine Grenze. Neu ist allerdings, das sich seit dem Ende der Teilung Europas wieder Menschen beiderseits der deutsch-tschechischen Grenze um die seltenen Tiere kümmern. Erforschung und Bestandspflege stehen auf dem Programm von Experten der Nationalparke Bayerischer- und Böhmerwald. Dazu wird die Großkatze grenzüberschreitend geortet – per SMS. Aber seit der Öffnung Osteuropas können nicht mehr nur Tiere, sondern auch Naturliebhaber wieder auf derzeit sieben grenzüberschreitenden Wanderwegen das „Grüne Dach Europas“ ohne Einschränkungen genießen. Die Eröffnung der neuen Routen war ein Meilenstein in der langjährigen Kooperationsarbeit des Nationalparks Bayerischer Wald auf deutscher Seite und des Nationalparks Böhmerwald in Tschechien und fand auch im Ausland viel Beachtung. Das Ziel: Für Touristen eine grenzenlose bayerisch-tschechische Naturerlebnisregion zu schaffen.

Viele gemeinsame Initiativen haben die Nationalparkverwaltungen beider Länder bereits erfolgreich umgesetzt: Neben der Wiederansiedlung und Erforschung der Luchse und der Wiederbelebung historischer Wanderwege auch die Einführung von Nationalpark-Rangern, die grenzüberschreitend Besucher durch die Parks führen. Bei Informationstafeln, Besucherbroschüren und Routenbeschreibungen setzt die Verwaltung im Bayerischen Wald und im Sumava, wie der Böhmerwald auf Tschechisch heißt, zunehmend auf Zweisprachigkeit.

Das Geheimnis des grenzüberschreitenden Erfolgs in Bayer- und Böhmerwald ist der tägliche Austausch der Mitarbeiter in den beiden Nationalparkverwaltungen diesseits und jenseits der Grenze. In beiden Parks gibt es Fachkräfte, die die Sprache des Nachbarn beherrschen. „In den letzten sechs Jahren hat sich eine sehr konstruktive, offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen uns und dem Nationalpark auf tschechischer Seite entwickelt“, sagt Hans Kiener, Sachgebietsleiter in der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald in Freyung-Grafenau. Teil der Kooperation seien auch regelmäßige gemeinsame Treffen, Rundgänge und Reisen in andere europäische Schutzgebiete.

Besonders gewürdigt wurde diese einmalige Initiative auch von der Dachorganisation aller europäischen Naturschutzgebiete Europarc: Der Nationalpark Bayerischer Wald ist das erste Schutzgebiet in Deutschland und erst der sechste Nationalpark in Europa, der 2009 die Auszeichnung als „Grenzüberschreitender Park“ (Transboundary Park) erhalten hat.

Gemeinsam haben Bayer- und Böhmerwald mit 15.000 Hektar Fläche das größte zusammenhängende Wildnisgebiet Europas vorzuweisen, das sich ohne Eingriff des Menschen entwickelt. Das Besondere: 85 Prozent des Gebietes umfassen natürliche Nadel- und Fichtenwälder, die seit der Eiszeit überlebt haben und so nur noch in den höchsten Lagen der Alpen und in Skandinavien vorkommen. Daraus resultiert auch eine ganz besondere Pflanzen- und Tierwelt – wie das Vorkommen des Luchses und des Auerhuhns, das es sonst nur noch in Skandinavien gibt.

Für die Zukunft wünscht sich Hans Kiener, dass die Voraussetzungen für eine so erfolgreiche und kommunikative Zusammenarbeit mit den tschechischen Nachbarn erhalten bleiben. „Das Entscheidende ist, dass die Wege vorhanden sind und die Leute offen miteinander umgehen“, sagt der Sachgebietsleiter.

Weil Bayern und Böhmen immer enger zusammenwachsen, steht an Ostbayerns Schulen Tschechisch immer häufiger auf dem Stundenplan. Ab Mai können Tschechisch-Schüler in der Oberpfalz sogar ein Zertifikat der Karlsuniversität in Prag erhalten.