Dienstag, 10. Juli 2007

Amalie Dietrich: Die deutsche Australienforscherin

Leseprobe aus dem Taschenbuch "Superfrauen 5 - Wissenschaft" des Wissenschaftsautors Ernst Probst:



Die bedeutendste Australien- und Naturforscherin Deutschlands im 19. Jahrhundert war Amalie Dietrich (1821–1891), geborene Nelle. Sie sammelte ein Jahrzehnt lang auf dem „Fünften Kontinent“, der damals noch Neuholland hieß, Pflanzen, Tiere, ethnographische Objekte, menschliche Schädel und Skelette für ein Hamburger Museum.

Konkordia Amalie Nelle kam am 26. Mai 1821 als Tochter eines Beutelmachers in Siebenlehn (Sachsen) zur Welt. Sie besuchte in ihrem Geburtsort die Schule, wo bereits dem evangelischen Pfarrer, der sie damals unterrichtete, ihr Eifer auffiel. Als er von ihrer Lesewut erfuhr, schenkte er ihr zur Konfirmation das zweibändige Werk „Stunden der Andacht“ des Schweizer Schriftstellers Heinrich Zschocke (1771–1848) und ermahnte sie, keine Ritter- und Räubergeschichten oder Reisebeschreibungen zu lesen.

Nach der Schulpflicht arbeitete Amalie Nelle im Handwerksbetrieb ihres Vaters als Ledernäherin. Beim Sammeln von Kräutern und Pilzen im Wald zusammen mit ihrer Mutter begegnete Amalie dem Apothekergehilfen Wilhelm Dietrich (1811–1866), der wegen des frühen Todes seines Vaters sein Medizinstudium abbrechen musste. Obwohl ihre Eltern dies ablehnten, heiratete Amaelie 1846 in Siebenlehn den von ihr bewunderten freischaffenden Naturforscher.

Amalie Dietrich entwickelte sich fortan zur leidenschaftlichen Sammlerin, Präparatorin und Forscherin. Das junge Paar verkaufte bei ausgedehnten Fußwanderungen, die bis in die Alpen und nach Krakau (Polen) führten, selbst gesammelte, präparierte Pflanzen und Insekten an Apotheken, wissenschaftliche Einrichtungen, Schulen, Gelehrte und Sammler.

Bald verschlechterten sich die Beziehungen der beiden Eheleute immer mehr. 1848 brachte Amalie eine Tochter zur Welt, was ihren Mann wenig freute. Da sie ständig für ihren Gatten arbeitete, konnte und wollte Amalie keinen Haushalt führen. Deswegen engagierte man ein Kindermädchen, zu dem sich Wilhelm Dietrich bald mehr als zu seiner Frau hingezogen fühlte.

Nachdem ihr Mann, der einen Klumpfuß hatte, aus gesundheitlichen Gründen keine strapaziösen Fußmärsche mehr unternehmen konnte, führte Amalie Dietrich alleine mit Hund und Handwagen langwierige Sammel- und Verkaufsreisen durch. Als sie 1861 von einer Verkaufsreise in die Niederlande und nach Belgien, bei der sie unterwegs in Harlem zusammenbrach und wochenlang im Krankenhaus gepflegt werden musste, zurückkam, fand sie das gemeinsam bewohnte Heim in Siebenlehn verlassen vor.

Amalies Gatte hatte das Hauswesen aus wirtschaftlichen Zwängen aufgelöst, die gemeinsame 13-jährige Tochter Charitas im Pfarrhaus von Nossen untergebracht, eine Stelle als Hauslehrer beim Grafen Schönberg in Herzogswalde angenommen und dort eine Unterkunft bekommen. Amalie holte die Tochter nach Siebenlehn zurück, wo sie bei einer Nachbarin in einem stallartigen Gebäude hausten. Trotz dieses Vorfalls ließen sich die Eheleute nicht scheiden.

Bei einer ihrer folgenden Verkaufsreisen begegnete Amalie Dietrich dem Hamburger Kaufmann Johann Cesar Godeffroy VI. (1813–1885), der großzügig naturwissenschaftliche und ethnographische Forschungen förderte. Der Begründer der Hartgummiindustrie, Adolph Meyer (1822–1889) aus Hamburg, der sich in den 1860-er Jahren aus dem Geschäft zurückzog und ganz der meeresbiologischen Forschung widmete, hatte sie Godeffroy als Sammlerin naturwissenschaftlicher Objekte in Übersee empfohlen.

Von 1863 bis 1873 trug Amalie Dietrich im Auftrag von Godeffroy in dem damals noch wenig erforschten Erdteil Australien mehr als 20000 Pflanzen, außerdem Tiere, ethnographische Gegenstände, menschliche Schädel und Skelette zusammen. Sie entdeckte fast 640 Pflanzenarten und präparierte 244 Vogelarten. Amelie war die erste Frau, die eine solche Expedition wagte. 1872 unternahm sie zu gleichem Zweck eine Expedition in die Südsee (Tonga-Inseln). 1867 wurde sie Mitglied der „Entomologischen Gesellschaft“ in Stettin.

Die von Amalie Dietrich gesammelten Objekte bereicherten das „Museum Godeffroy“ am „Alten Wandrahm“ in Hamburg. Ihr zu Ehren wurden verschiedene botanische und zoologische Objekte – wie Moose, Algen und Wespen – benannt. Als die Firma Godeffroy Konkurs machte, gingen Teile des Godeffroyschen Museums in den Besitz der Stadt Hamburg über. Amelie Dietrich erhielt als Kustodin bis zu ihrem Lebensende eine städtische Anstellung.

Als Amalie Dietrich aus Australien mit zwei selbst gezähmten Raubvögeln, einem Keilschwanzadler und einem Seeadler in Hamburg an Land ging, wollte sie für immer mit ihrer Tochter Charitas (1848–1925) zusammenleben. Doch diese hatte sich inzwischen mit einem Pastor verlobt, weil sie des Alleinseins überdrüssig war.

Die meiste Zeit ihres Lebens lebte Amalie Dietrich in Hamburg, seit 1866 als Witwe. Am 9. März 1891 starb sie um 23 Uhr im Alter von 69 Jahren in Rendsburg (Schleswig-Holstein). Ihre Tochter Charitas Bischof entwickelte sich zu einer erfolgreichen Schriftstellerin. In ihrer Autobiographie „Bilder aus meinem Leben“ verriet sie, wie sehr sie unter den Trennungen von der Mutter litt. Über den Vater schrieb sie, er habe sich Spinnen genauer und liebevoller angeschaut als sein eigenes Kind.

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